Im Winter schon haben Luki und Anna mir gesagt, dass sie zum Fest unseres 50-jährigen Dorfbestehens im August für eine Woche auf Urlaub nach Königsleiten kommen würden und dort gerne eine etwas anspruchsvollere Wanderung machen würden. Da sie beide noch nie auf der Wildkarspitze waren, stand unser Ziel schnell fest. Die schöne 3.076m hohe Pyramide, die wirklich jeder der in Königsleiten war schon einmal bestaunt hat.
Blick vom Hotel auf die Wildkarspitze
Wir sitzen gemütlich bei einem Lagerfeuer in einer warmen Sommernacht beisammen und klären die letzten Details der Tour. Ausrüstung müssten wir nur wie bei einer gewöhnlichen Wanderung mitnehmen: gutes Schuhwerk, etwas Verpflegung und Kleidung für alle Fälle. Der Wetterbericht verspricht bis um ca. 17.00 Uhr trockenes Wetter. Im Wissen, dass es eine längere Tour wird entschließen wir uns um am Mittwoch um 05.00 Uhr zu starten und den ersten Teil soweit es geht mit den E-Bikes von unserem Hotel zurückzulegen. So würden wir uns sicher insgesamt zwei Stunden Fußmarsch ersparen und speziell im Abstieg ist es einfach nur angenehm. Es ist nun Dienstagabend und ich arbeite an den letzten Kleinigkeiten des Großvenediger-Berichts als ich merke, dass es schon Mitternacht ist. In nur viereinhalb Stunden würde der Wecker schon läuten und den Rucksack hab ich auch noch nicht gepackt! Na, gottsnom!
Die kurze, aber überraschend erholsame Nacht endete mit dem Wecker und gleich darauf stand ich vor meiner Wohnung und wartete auf Anna und Luki, welche auch pünktlich um 05.00 erschienen. Es war noch dunkel, deswegen hatte ich meine WakaWaka-Taschenlampe dabei, die uns den Weg leuchten sollte. Nach einer kurzen Erklärung der E-Bikes, welche beide noch nie benutzten, starten wir in den lauen Sommermorgen. Über die alte Gerlospassstraße und den Forstweg erreichen wir die Gerlosplatte. Die Fahrt mit den Rädern hatte neben der Zeitersparnis auch noch andere Vorteile: Man ist beim losgehen schon leicht aufgewärmt und man spart sich bekanntermaßen Kraft. „Wia geil des eascht ban hoamfohn is“, denk ich mir, als wir bei der Gletscherblickalm vorbeiradln. Do gibs spata sicha a koits bia! But first things first. Wir fahren bis zum Ende des Forstweges und parken unsere Räder. Jetzt geht´s richtig los. Mittlerweile war es schon hell genug, sodass ich auch das Licht wegpackte.
Sonnenaufgang bei der Breitscharte
Wir marschieren über den malerischen Leitenkammersteig Richtung Wildkaralm. Im wunderschönen Zirbenwald ist es mucksmäuschenstill. Nur unsere Schritte und leise Kuhglocken in der Ferne durchbrechen diese Stille. Natur pur! Als wir die Alm zirka dreißig Minuten später erreichen, legen wir die erste kleine Trinkpause ein und bestaunen am gegenüberliegenden Hanger (Bericht folgt) den Sonnenaufgang.
Sonnenaufgang: Ankenkopf, Stierkopf, Hanger (v.l.n.r.)
Am Wegweiser ist unser nächstes Ziel, der Wildkarsee, mit zwei Stunden Gehzeit angegeben. Ich war schon länger nicht mehr da oben, konnte mich aber erinnern, dass es nicht so lange benötigen würde. Wir starten in einem perfekt, gleichmäßigen Tempo und machen immer mehr Höhenmeter in dieser wunderschönen Morgenlandschaft. Anfangs noch in typisch bewachsenen Almgebiet, wird es immer karger und felsiger. Des taug ma! Ich liebe Gelände, in dem große, feste Felsblöcke sind. Davon warten heute noch genug auf uns.
Morgendunst über dem Pinzgau
Wir quatschen über Gott und die Welt und steigen stetig weiter auf. Dabei beobachten wir immer wieder die Wolken die sich heute in einer geraden Linie, schon fast unwirklich von Nord nach Süd über uns erstrecken. Im Westen sehen sie ziemlich bedrohlich aus, im Osten hingegen herrscht strahlender Sonnenschein und kein einziges Wölkchen ist zu sehen. Soi jo bis gschnochz trockn bleim und denk mir nichts weiter dabei. Nicht viel später erreichen wir den wildromantisch gelegenen Wildkarsee und werden von den dort grasenden Schafen begrüßt.
Frühstück mit Schaferl
Blick nach Königsleiten
Wir packen unsere Jause aus, als Luki anmerkt, dass wir ja noch die knapp 50 Höhenmeter auf die Seekarscharte aufsteigen und die dortige Aussicht in der Sonne genießen könnten. Wir finden ein schönes Platzerl und staunen über die Tief- und Ausblicke. Es ist noch immer recht früh und wir sind nach wie vor ganz allein. An unserem Fahrraddepot stand aber schon ein Fahrrad. Wo ist der- oder diejenige? Weama scho seng! Genüsslich frühstücken wir und als Ortskundiger erklär ich Anna und Luki den Weiterweg.
Wildkarsee mit Seekarkogel
Mitten durch das Blockgelände
Da rauf wollen wir
Ab jetzt befinden wir uns im weglosen, „roglen“ Gelände, welches eine Unzahl von Gefahren birgt. Lose Felsblöcke, die Löcher zwischen diesen, Steinschlag,… .Damit wir das Risiko minimieren, erkläre ich ihnen die Vorgehensweise. Bei meiner letzten Wildkartour vor einigen Jahren fielen immer wieder mal Steine von den umliegenden Wänden und es ist nicht auszuschließen das dies heute wieder passiert. Also warne ich sie vor mahne zur Vorsicht und Aufmerksamkeit. Sobald sie ein grelles Pfeifen hören, sollten sie „Stein“ rufen und hinter einem Fels Schutz suchen. Ich weiß, dass klingt jetzt alles verrückt, ist jedoch eine bewährte Methode. Über große Granitblöcke suchen wir uns einen Weg durch dieses riesige Labyrinth. Dem geübten Auge fällt jedoch immer irgendwo eine logische Linie auf, der man auf gut Glück folgt. Man weiß ja wo man hinwill und kann sich dementsprechend nicht verirren. Zumindest bei diesen Verhältnissen nicht. Bei Nebel sieht es wohl anders aus. Wir queren die erste Steinschlagzone und warten aufeinander. Anna sagt uns, dass sie immer wieder etwas verschwommen sieht und ihr manchmal leicht schwindelig ist. Sie muss aufgrund einer Infektion Antibiotika nehmen und diese merkt sie unter Anstrengung deutlich. Nach kurzer Überlegung versichert sie aber, dass alles okay ist und sie weitergehen will. Passt, oft geht dahi.
Gibt schlechtere Orte zum rasten
Links des oberen Schneefeldes wollen wir auf den Grat
Immer weiter kämpfen wir uns durch diese Steinwüste und sehen nun zum ersten Mal einen anderen Menschen. Weit über uns erkennen wir nur eine rote Hose, die sich kurz unter dem Gipfel bewegt. Hoffentlich sieht der uns auch. Wir bewegen uns unter ihm und der Gedanke, dass er eventuell Steinschlag auslösen könnte, lässt uns weitergehen. So schnell es geht raus aus dem gefährlichen Gebiet.
Block um Block um Block...
Gemeinsam entscheiden wir uns links vom ober uns befindlichen Schnee-/Eisfeld auf den Grat zu steigen und dort die nächste Pause einzulegen. In meiner Erinnerung war hier das letzte Mal noch mehr Gletscher. Vor drei Jahren. Schade, wie vergänglich diese Eisriesen sind. Aber jetzt ist leider keine Zeit um sich über Klimaerwärmung Gedanken zu machen. Ich gehe vor, Luki und Anna folgen meinem Weg. Die beiden sind etwas kleiner als ich und haben bei meiner Wegwahl manchmal Schwierigkeiten die Griffe und Tritte in den Felsen zu erreichen. Doch mit Geschick und Technik stehen sie auch wenig später am Grat. Dieses kurze Stück vom Kar auf den Grat ist ziemlich knifflig, da es zum ersten Mal so steil ist, dass man seine Hände auch zum Vorankommen benötigt. Hinzu kommt noch der sandige, bröckelige Untergrund. Am Grat setzen wir uns und genießen für kurze Zeit den Ausblick. Vor uns geht es knapp 100 Meter zum Waldbergkarkees, hinter uns 30 Meter fast senkrecht zum Wildkarkees hinunter. Luftig is, jetzt bin ich voll in meinem Element.
Aussicht vom Grat Richtung Zillertal Arena
Weit geht´s runter zum Waldbergkarkees
Wie erwähnt war ich vor ziemlich genau drei Jahren zuletzt hier und meine Erinnerungen waren nicht mehr ganz da. Falls ich mich nicht täusche, kommen aber jetzt für die letzten 150 Höhenmeter immer wieder mal kleinere klettertechnische Schwierigkeiten. Owa wead scho! Wir müssen jetzt immer direkt am Grat über die großen Blöcke kraxeln, womit wir auch gleich beginnen. Nach fünf Minuten kommt uns der Bergsteiger entgegen, dessen Rad wir unten sahen. Wir quatschen kurz und er meinte, dass sich der Himmel im Westen immer weiter verdunkelt. Okay, schnell rauf und keine lange Gipfelpause. Uns fällt aber auf, dass sich diese Wolkenlinie immer weiter von uns weg bewegt. Es wird also eher besser. Wir gehen, zeitweise auf allen Vieren, weiter und müssen doch einmal in die Flanke ausweichen um voran zu kommen. Hier ist der Untergrund wieder sandig. Es muss aber die letzten Tage mal ordentlich geregnet haben, da der Sand sehr fest ist und nicht rutscht. Dieses Teilstück hatte ich viel schlimmer in Erinnerung. Viel, viel schlimmer. Vielleicht empfinde ich es mittlerweile aber einfach nicht mehr so schwierig. Etwas bergsteigerische Erfahrung konnte ich über die letzten Jahre zum Glück ja doch sammeln.
Gelände am Gipfelgrat, schöne griffige Felsen
Weiter geht es über Blöcke und kurz darauf stehen wir mitten in der „Nordwand“ der Wildkarspitze. Hier gilt es eigentlich nur mehr in direkter Linie bergauf zu kraxeln. Leicht gesagt, nervlich anspannend. Hinter uns geht es knapp 150 Meter aufs Wildkarkees runter. Ausrutschen und stürzen absolut verboten! Der Fels ist aber supergriffig und man kommt sogar an einigen Felshaken vorbei. Normalerweise braucht man hier rauf kein Seil, doch alle zwei Jahre findet am Gipfel eine Messe statt, wo die Besucher gesichert aufsteigen können. Ganz zu schweigen von Winterbesteigungen, wo ein Seil sicher von Vorteil ist. An dieser Stelle sei vielleicht erwähnt, dass dies kein Wanderberg ist und schon ein gewisses Maß an Können voraussetzt. Block um Block kommen wir höher und plötzlich sehe ich schon das Kreuz über mir. Nach alter Bergsteigertradition warten Luki und ich auf Anna. Zuerst die Frauen oder die Jüngsten. Nach dem letzten großen Kletterzug stehen wir um 09.15 Uhr bei Traumwetter auf dem 3.076m hohen Wildkarspitz. Voi geil!
Ohne Worte, Venediger im Hintergrund
Endlich zusammen am Gipfel
Mit einem „Berg Heil“ beglückwünschen wir uns und suchen uns auf dem kleinen und nach allen Seiten abfallenden Plateau ein Platzerl zum rasten. Wir plaudern und Anna verrät uns, dass dies ihr erster 3.000er überhaupt ist. Also nochmals Glückwunsch. Die Aussicht ist wieder mal gewaltig. Im Norden sehen wir Königsleiten mit der Zillertal Arena und den Kitzbühler Alpen. Im Osten baut sich der Nationalpark Hohe Tauern mit dem Glockner, Venediger und Wiesbachhorn auf. Im Westen sehen wir in die Reichenspitzgruppe und die Zillertaler Alpen.
Reichenspitzgruppe mit Zittauer Hütte und Unterem Wildgerlossee
Nordostgrat (Aufstieg) mit Blick nach Wald im Pinzgau
Krimmler Kees und Venedigergruppe
Ich schnapp mir das Gipfelbuch und trage uns ein. Dabei entdecke ich auch meinen letzten Eintrag:
06.08.2015 Carsten, Alex und Bastian Berghotel Der Königsleitner
Wir genießen die Sonne und unsere Jause. Ich will noch etwas klettern und starte auf den Südgrat Richtung Schafkopf. Von dort schieße ich mehrere Fotos und gehe wieder zurück zu den anderen.
Wildkar vom Südgrat aus
Die Lust auf ein kühles Weizen auf der Gletscherblickalm lässt uns alles wieder einpacken und langsam wieder talwärts starten. Bis ins Kar hinunter heißt es volle Konzentration. Wir steigen über dieselbe Route ab und sind eine halbe Stunde ohne Vorkommnisse wieder unten. Nun entscheiden wir uns links hinüber zu queren um über das Kees abzusteigen. Wir haben zwar keine Steigeisen dabei, doch es ist griffiges Eis und nicht sehr steil. Noch dazu ein Erlebnis.
Abstieg über das Wildkarkees
Luki und ich kommen gut voran, Anna´s Profil war aber doch nicht so gut wie angenommen. Sie saß des Öfteren auf ihrem Hosenboden, doch es passierte nichts tragisches. Wir Jungs hatten dadurch natürlich wieder was zum Lachen. Danke Anna! 😊
Schnappschuss: Anna steht gerade wieder auf
Das Schmelzwasser des Gletschers mäanderte in perfekten Kurven durch das ewige Eis und war eine willkommene Erfrischung. Bald danach waren wir wieder in der schier endlosen Felswüste. Der Gedanke ans kühle Bier trieb Lukas und mich dazu, ziemlich flott abzusteigen, Anna hingegen genoss die Aussicht und die Natur etwas intensiver.
mäanderndes Keesbächlein
Nicht mehr weit bis zum Weg. Dachte ich zumindest. Doch das Wildkar zieht sich im Abstieg sehr in die Länge. Irgendwann kommen wir an eine kleine Stelle die schon fast wie eine Oase inmitten dieser Felslandschaft wirkt. Eine flache Wiese mit einem See, in dem wir vor drei Jahren ein kurzes Bad nahmen, heute aber darauf verzichten.
Aus dem Nichts: eine flache, saftige Wiese
Jetzt war es wirklich nicht mehr weit bis zum Weg und wir sehen immer mehr Leute, die als Wanderziel den Wildkarsee anstreben. Kurz denk ich mir, dass die alle recht spät gestartet sind, ehe mir einfällt, dass wir einfach ziemlich früh losgingen. Eine letzte kleine Trinkpause legen wir ein bevor wir in einer Ratsch zur Wildkaralm absteigen wollen. Derselbe Weg wie frühmorgens, jetzt jedoch in der prallen Sonne, führt uns immer weiter ins Tal hinunter. An der Wildkaralm angekommen, begrüßen uns die Pinzgauer Ladies: Kühe und Ziegen, komplett tiefenentspannt und nicht gewillt auch nur einen Zentimeter Platz zu machen.
Hello, Ladies!
Über Stock und Stein und immer näher an unseren Rädern werden wir unbewusst immer schneller und stehen so schon 20 Minuten später an unseren E-Bikes. Genau jetzt setzt bei jedem dieses „Zum Glück“-Gefühl ein. Zum Glück müssen wir jetzt nicht auch noch über den Forstweg absteigen, sondern können es auf unserem Drahtesel laufen lassen. Wir riechen das Mittagessen schon förmlich und treten in die Pedale. Vorbei an Wanderern erreichen wir die Gletscherblickalm. Unseren Gästen ist diese bestens bekannt, da ich dort im Rahmen unseres Hotel-Wanderprogramms wöchentlich hinwandere. So kommt es das ich zur Bedienung nichts sagen muss und mir schon eine Brettljause und ein kühles Anton-Wallner-Weizen serviert wird. Genau das richtige jetzt. Leider hatte ich am Vorabend vergessen meinen Gipfel-Ziamschnaps einzupacken, doch zum Glück konnten wir das nun nachholen. Wir genießen die Sonne und fahren schlussendlich nach Königsleiten zum Hotel retour, wo wir gemeinsam mit weiteren Freunden den Tag ausklingen lassen. Im Nachhinein hat sich unser frühes Aufbrechen voll bezahlt gemacht, da wir von unserer Hotelterrasse das Gewitter im Wildkar in seiner vollen Pracht beobachten konnten.
Es war eine superlässige Tour, in der alles dabei war: Radfahren, Wandern, Klettern, Schnee, Eis, Wind, Sonne, Wolken, nette Gesellschaft und super Stimmung. Danke Anna und Luki, ich freu mich schon auf die Wintertouren mit euch!
Gipfelfreuden
Bastian Obermoser, August 2018
Fotos by Bastian Obermoser ©