Am Mittwochabend sitz ich mit meiner Freundin auf der Terrasse des Hotels und wir genießen den Grillabend. Carsten steht hinterm Grill. In einer ruhigen Minute beschließen wir, dass es morgen auf den Fuscherkarkopf gehen soll. Dieser ist mit 3.331m ein recht hoher, komplett eisfreier Wanderberg, der mit seiner Aussicht auf den direkt gegenüberliegenden Großglockner überzeugt.
Manggei, direkt neben dem Weg
Der einzige Haken an der Sache: Wir müssen früh los, da wir mit dem Auto schon zirka zwei Stunden zum Ausgangspunkt der Tour, der Franz-Josefs-Höhe an der Glocknerstraße, brauchen. Owa ban beag geh fria aufsteh, samma eh scho gweht! Carsten will seinem neuen Auto ein paar Kilometer rauffahren, deswegen stehen wir um kurz vor 06:00 in der früh an seinem kleinen Ford. Während unserer Fahrt beobachten wir immer das Wetter, denn für heute Nachmittag sind Regenschauer vorhergesagt. Die paar kleinen Wölkchen zur der Zeit bereiten uns aber noch keine Sorgen. Bei unserer Vorfreude auf die Tour vergeht die Fahrt bis zum Wildpark Ferleiten wie im Flug. Dort kommen wir an die Mautstelle der Hochalpenstraße und sind für diesen Ort hier ungewöhnlich allein. Nur einige motivierte Radfahrer, die aufs Fuschertörl wollen sind schon unterwegs. Mit ihren Ausblicken ist es jedes Mal wieder ein purer Genuss diese Straße zu befahren. Umzingelt von den Gipfeln der Glocknergruppe schlängeln wir uns immer weiter den Berg hinauf. Kurz wird unserer Motivation ein Dämpfer versetzt als wir da wo unser Gipfel sein sollte, nur eine weiße Wolkenwand sehen. Ku ma nit ändern. Für den Lacher des Tages sorgte dann ein mutiges Manggei, dass wir offensichtlich aus seinem Schlaf weckten. Mit halb verschlossenen Augen, dafür weit aufgerissen Maul stürmte es auf Carstens’ Auto zu. Zum Glück fuhr er nicht schnell, sonst hätten wir jetzt wohl Murmeltierschnitzel auf unserer Speisekarte. Genauso schnell wie es kam, verkroch es sich wieder in seinem Bau. Vor lauter Lachen blieben wir noch ein Weilchen mitten auf der Straße stehen, bevor wir kurz später endlich zu unserem Ausgangspunkt gelangten. Wir parken das Auto, ziehen unsere Jacken an und erledigen die letzten Kleinigkeiten.
Der Glockner ist unter einer Nebelschwade nicht ausfindig zu machen und generell ist das Wetter nicht mehr ganz so angenehm. Doch wir entscheiden uns es einfach zu riskieren und zu starten. Anfangs marschiert man den Gamsgrubenweg entlang.
Der Gamsgrubenweg, der Glockner noch scheu
Dieser ist zu Beginn hauptsächlich durch lange Tunnel zu begehen. In diesen Tunnels sind verschiedene Ausstellungen, die den Touristenstrom unterhalten sollen. Ganz nett, aber wir haben anderes vor. Wie unter Tage üblich ist es hier drinnen recht kühl und wir sind ziemlich flott unterwegs um uns warm zu halten. Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit (realistisch wahrscheinlich 20 Minuten) endlich aus den sechs Tunnels kommen, lockerte auch die Wolkendecke etwas auf und es schien doch noch besser zu werden. Jacke aus und weiter. Ab hier schlängelt sich der Weg an der Flanke des Fuscherkarkopf entlang. In diesem wunderschönen Gebiet wachsen einige Pflanzen wie die Soldanelle, Schotenkresse, Edelweiß oder Rudolfs-Steinbrech. Es ist eines der wenigen Sonderschutzgebiete im gesamten Alpenraum. Das Besondere hier: Die Gamsgrube füllt sich durch Flugsand, welcher bei Wind von den umgebenden Gipfeln abgetragen wird. Dadurch entsteht seltener Treibsand, der eben diese außergewöhnliche Vegetation zulässt. Verständlicherweise ist es verboten den großzügig angelegten Weg zu verlassen.
Gamsgrube vom Aufstieg aus gesehen
Wir wandern weiter in dieser immer schöner werdenden Kulisse. Links weit unter uns ist die Pasterze, Österreichs größter Gletscher, darüber der Glockner, welcher sich immer noch nicht aus seinem Wolkenkleid traut und rechts oberhalb von uns erkennt man den Grat, an dem wir nicht viel später aufsteigen sollten. Zirka eine halbe Stunde von den Tunnels entfernt, zweigt der Weg zum Südwestgrat „unseres“ Gipfels ab.
Weg am Beginn, ziemlich sandig. Im Hintergrund: Johannisberg
Dieser Pfad hat es dann auch gleich in sich: Direkt vom Start weg, läuft man auf einem Weg, welcher mit Flugsand gefüllt und recht steil ist. Heißt zwei Schritte vor, einen zurück. Zum Glück geht es nur 100 Höhenmeter so weiter, ehe wir vor einer mäßig steilen Wand stehen, wo erste Fixseile zum festhalten angebracht sind. Ab jetzt geht es mal über kleinere, mal über größere Felsen immer direkt am Grat entlang bergauf. Genau mei Ding. Als Orientierung sind hier von Zeit zu Zeit kleine Metallpfähle positioniert worden, die wir heute zum Glück nicht benötigen, da mittlerweile sogar ein bisschen die Sonne rauskommt. Kurze Zeit später müssen wir in die Westflanke des Berges ausweichen, da dort der Aufstieg leichter fällt. Denkste. Durch den Sand ist es hier rutschig und wirklich unangenehm zu wandern. Die größeren Felsen rutschen bei jeder Belastung weg, darum gilt es jeden Schritt wohlüberlegt zu platzieren. Mittlerweile geht es unter uns auch einige hundert Meter weit runter auf das Wasserfallkees. Sprich: Ausrutschen verboten.
steiler wird´s
Konzentriert aber doch recht flott kommen wir weiter, bis zu einer Stelle, an der ich noch irgendwo in diesem überdimensionierten Steinhaufen meinen Weg fand, Carsten jedoch zu zweifeln beginnt. Ich steh 20-30 Meter höher und probier ihn zu lotsen, doch er fühlt sich in diesem Gelände kurz unwohl. Ich riet ihm meiner Spur zu folgen, da ich glücklicherweise einige große Steinplatten (natürlich mit Sand bedeckt) fand, wo es halbwegs gut zu steigen war. Ihm war es aber nicht geheuer und er quälte sich in diesem rutschigen Kiesel-Sand-Felsbrock-Gemisch zu mir herauf. Alles noch mal gut gegangen. An solchen Stellen wird einem immer bewusst: „Ah, do miassma a wida owe!“. Man darf seine Konzentration aber nicht schon an den Abstieg verschwenden. Erst muss das bevorstehende gemeistert werden.
Glücklicherweise wird der Untergrund nun ein wenig fester und zum ersten Mal wird es warm, da uns die Sonne jetzt voll erfasst. Auch der Glockner traut sich endlich raus. Also kurze Fotopause.
Spät aber doch traute er sich raus: Der Großglockner
Nach einigen Schnappschüssen packe ich wieder zusammen und geh schon los. Carsten trinkt noch etwas. Plötzlich seh ich in meinem Augenwinkel Bewegung. Erst dachte ich es sei Carsten, doch obwohl er manchmal ein sturer Bock ist (😊), hat er nicht so lange Hörner. Fünf oder sechs Steinböcke. Nur einige Meter von uns entfernt. So nah dran war ich auch noch nie bei wilden Steinböcken. Schnell hol ich meine Kamera raus und probier sie noch vor die Linse zu bekommen. Leise redend jedoch wild gestikulierend will ich Carsten verklickern, dass er doch schauen sollte. Auch er holt sofort seine Kamera raus und schießt ein paar Fotos. Zum Glück erwischte ich noch einen, bevor auch dieser um die Felskante verschwand.
Imposanter Steinbock
Beeindruckt von diesem Schauspiel, gehen wir weiter und erreichen kurz darauf ein kleines Plateau, von wo aus wir zu unserem Gipfel rüber schauen konnten. Der Weg führt direkt über uns auf den Vorgipfel, welcher über einen scharfen Grat mit dem Hauptgipfel verbunden ist. Kein Sand mehr, dafür sehr brüchiges Gestein ist nun unser ständiger Begleiter auf die nächste Erhebung. Durch vorsichtiges Steigen und Greifen stellt aber auch dieser Abschnitt keine gröbere Schwierigkeit dar. Dann passierte mir etwas Komisches: Ich fiel einer optischen Täuschung zum Opfer, glücklicherweise im positiven Sinne. Ich dachte, dass der Anstieg noch viel weiter sei, doch ich stand schon am Vorgipfel. Vom Anstieg aus, wirkte es durch die weiße Wolkenwand über uns, als ob sich der Grat noch weiter hinaufzieht. Letztendlich war hier der Berg aber aus und dahinter ging eine hunderte Meter hohe Felswand steil auf die Nordseite hinunter. Wir entscheiden uns eine kurze Pause einzulegen. Dieser Stopp war genau richtig gewählt, da man nun eine super Sicht auf den Hauptgipfel und dessen Grat hat. Kurze Zeit zumindest!
Verbindungsgrat zwischen Vor- und Hauptgipfel
Es würde nur noch knapp zwanzig Minuten dauern um dort oben zu stehen. Von dieser Perspektive waren auch keine Schwierigkeiten zu erkennen. Abgesehen von dem Fakt, dass es links und rechts weit, weit runter geht. Der Grat ist aber sicher 2-3 Meter breit und so gesehen gutes Gehgelände. Wir machen uns auf und stehen wenig später, ohne gröbere Anstrengungen, auf dem Fuscherkarkopf, 3.331m. LÄSSIG.
As Kreiz
„Berg Heil, Carsten!“, und zieh mir schon meine Jacke an. Es weht ein frischer Wind. Im Norden komplett bewölkt, was sehr schade war, da ich gerne das Wiesbachhorn von dieser Seite gesehen hätte. Eine Woche zuvor stand ich dort oben und schaute vergeblich da rüber, wo ich jetzt stand und konnte durch die Wolken nichts sehen. Vermutlich einfach nur die Art dieser Berge zu sagen: „Du muasst nuameu kemma!“. In der Goldberggruppe östlich von uns regnete es bereits, doch zumindest im Süden schien noch etwas Sonne. Leider war das Panorama demzufolge bescheiden. Was wir jedoch sahen, war Österreichs Premiumaussicht, direkt auf die Großglocknernordseite mit seiner berüchtigten Pallavicini-Rinne und Mayerlrampe. Dieser Berg ist einfach imposant. Wir verspeisen unsere mitgebrachten Müsliriegel und trinken Wasser. Unterhalb des Vorgipfels erkennen wir drei weitere Bergsteiger auf diesem, zumindest heute, ruhigen Berg. Anlass genug um schön langsam aufzubrechen, damit auch diese den Gipfel, so wie wir, für kurze Zeit „ihr Eigen“ nennen können.
Rechts der Aufstiegsgrat und unterhalb die Gamsgrube
Der Abstieg bis zum Gamsgrubenweg würde in diesem Gelände nochmals volle Konzentration erfordern und entsprechend langsam bewegen wir uns auch fort. Immer wieder vertreibt der Wind kurzzeitig die Wolken im Norden, sodass wir zumindest auf die unter uns liegenden Gletscher schauen können. Natürlich schießen wir hier eine Menge Fotos. Die drei anderen Bergsteiger kommen uns entgegen und halten an. Sie wirken alle sehr fit. Deswegen überraschend da einer sicher schon eher achtzig als jünger war. In Gedanken wünsch ich mir nichts anderes, als auch so fit zu sein in dem Alter. Sein Dialekt erinnert mich daran, dass wir uns heute wieder in einem Grenzgebiet befinden. Kärnten ist wunderschön doch ihr Akzent lässt mich nach wie vor schmunzeln. (Ich hab euch trotzdem gern, liebe Kärntner)
Weiter geht´s mit etwas schnellerem Schritt, da die Wolken von Osten immer weiter in unsere Richtung ziehen. Nun finden wir Regen nicht unbedingt schlimm, wenn es aber vermeidbar ist, probieren wir ihm zu entkommen. Wir nähern uns der Stelle, an welcher Carsten im Aufstieg kurz Probleme hatte. Man merkte es ihm auch an, dass ihm nicht ganz wohl bei der Sache war, da er vermehrt darüber sprach. Ich kenne Carsten mittlerweile richtig gut und weiß, dass ihn beim Wandern nicht viel aus der Ruhe bringt, doch dort passte es ihm einfach nicht. Da wir aber keine andere Option hatten, mussten wir Wohl oder Übel durch. Dort angekommen steigen wir ruhig Schritt um Schritt tiefer und als wir unten ankamen, empfanden wir es überhaupt nicht mehr schlimm. Total ungewöhnlich, denn normalerweise ist der Abstieg immer unangenehmer als der Aufstieg. Der beim Raufgehen noch so verfluchte Sand, hat beim absteigen Vorteile. Wenn man die Ferse gut aufsetzt, gibt der Boden nach und man rutscht kontrolliert einige Zentimeter ab. So kommt man recht flott, aber sicher, nach unten. Es machte sogar wirklich Spaß bergab zu gehen. Und das aus meinem Mund. Kurze Zeit darauf kommt uns ein jüngeres Pärchen entgegen die müde wirkten, doch den Gipfel als Ziel hatten. Wir erklärten ihnen den Weg, wiesen aber darauf hin, dass das Wetter instabiler wird und dass sie das Meiste noch vor sich hätten. Zu unserem Erstaunen gingen sie trotzdem weiter, dachten uns aber ehrlich gesagt nur: „Söwa schuid!“ Wir gelangen wieder in das Gelände mit den Metallpfählen.
seltsam positionierte Metallpfähle, anderswo wären sie hilfreicher
Die riesigen, irgendwann von Gletschern abgeschliffenen Felsen waren nach dem losen Sand ein willkommener fester Untergrund. Am Wegrand entdecken wir Edelweiß und wie zwei Verrückte beginnen wir diese aus allen Lagen und Winkeln zu fotografieren. Wir mussten über uns selber lachen. Starke Windböen ziehen immer wieder durch und auch die ersten Tropfen landen auf unserer Haut.
Die Königin der Alpen: Das Edelweiß
Wir ziehen uns schnell die Regenjacken über bevor wir die letzten Meter über den sandigen Weg zur Gamsgrube zurücklegen. Im Nullkommanichts beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Carsten und ich schauen uns an, sind froh, dass wir vom Grat weg sind und denken aber gleichzeitig an die noch oben befindlichen fünf Leute. Die werden ordentlich nass. Hoffentlich steigen sie schnell und sicher ab.
Es ist jetzt Mittagszeit und trotz des Wetters tummeln sich viele Touristen an den Hängen des Fuscherkarkopfes. Durch den einsetzenden Regen kehren die meisten jetzt aber zu den Tunnels zurück. Komplett nass aber happy erreichen auch wir diese wenig später und sind nach kurzer Zeit wieder zurück am Ausgangspunkt. Da wir beide Hunger haben, beschließen wir los zu fahren und beim Erstbesten Restaurant essen zu gehen. Am Straßenrand bei der Fuscherlacke entdecken wir den „Manggeiwirt“, welcher bekannt für seinen Umgang mit wilden Murmeltieren, Füchsen,… ist. Entgegen den Gerüchten wird hier kein Murmeltierfleisch angeboten, das Essen ist trotzdem super lecker. Wir lassen uns eine Gulaschsuppe und ein saures Radler kredenzen und stoßen auf einen weiteren herrlichen Wandertag an. Bei der Heimfahrt fängt es immer stärker an zu regnen und unsere frühe Tourenwahl hat sich wieder einmal bewährt. Es war eine lässige Tour, mit nicht vielen aber besonderen Ausblicken und guter Gesellschaft. Als wir in Königsleiten ankamen, traute sich die Sonne wieder raus, aber eh klar, beim Berghotel Der Königsleitner ist es immer schön.
Bastian Obermoser, September 2018
Fotos by Bastian Obermoser ©